Pausenpoesie

 

Die beiden Künstler Johannes Gachnang und Johanes Zechner sind beständig auf Reisen. Grenzübertritte gehören zu ihrem täglichen Leben. Die Fahne ist daher ein naheliegendes Symbol für ihre Arbeit, und es überrascht kaum, dass sie sich schon seit langem auch von Werken anderer Künstler faszinieren ließen, die ihre persönlichen Fahnen entworfen haben - etwa die Grenzgänger William Copley oder Forrest Bess. Gemeinsam sind Johannes Gachnang und Johanes Zechner nach Ghana gereist, auf den Spuren der Fahnenmacher der Fante Asafo. Sie begegneten dort dem 83-jährigen Künstler Kobina Badowah, dessen Werke in der Ausstellung "Tanzende Bilder" 1993 in Bonn gezeigt worden waren.

 

Als Künstler nehmen Gachnang und Zechner die eindeutig festgelegte Symbolik von Nationalflaggen selbstverständlich nicht hin (ihr älterer Kollege prägte für seine eigenen Flaggen den Aphorismus "My fatherland can fuck your motherland"), sondern benutzen sie als Ausgangspunkt für eigene Ausflüge. Flaggen bieten in den hier ausgestellten Bildpaaren den buchstäblichen Untergrund für ihre persönlichen, teils witzigen, teils tiefgründigen, verfremdenden Grenzüberschreitungen. Johanes Zechner hatte in Tschechien diese Papierflaggen gefunden, die eigentlich als sozialistische Winkelemente hätten dienen sollen, um etwa einem Staatsbesuch die angemessen pompöse Atmosphäre zu verleihen. Die Bearbeitung dieser Papierfähnchen durch die beiden Künstler wirkt wie eine poetische Form des Ausfertigens von Formularen beim Grenzübertritt. Gachnang und Zechner überbrücken mit ihrer gleichermaßen allgemeinverständlichen und idiosynkratischen Sprache spielend die Distanz zwischen Alltag und Metapher. Die Entstehung dieser Bildpaare verlief mehrstufig - die gedruckten Formulare wurden gleichsam ausgefüllt und zu einem späteren Zeitpunkt ausgewertet. Getrennt malen, vereint auswählen. Die Bildpaare sind Ergebnisse malerischer und kuratorischer Tätigkeit. Sie sind auch Folgen von Reiseunterbrechungen. Erfrischende Erholungspausen auf dem Weg, suggerieren sie mit ihren leuchtenden Farben und kalligrafischen Zeichen einen Stillstand, eine Intensivierung des Augenblicks. Angesichts dieser unprätentiös schillernden Arbeiten können wir zur Ruhe kommen, ohne aber den Blick für die fortdauernde Reise und die immer wieder nötigen Grenzübergänge zu verlieren. Die Kunst erscheint hier als Pause auf unserem Weg, der wie alles einmal enden wird, aber bitte noch nicht gleich.

 

 

Kay Heymer, auf dem Weg von Essen nach Bonn, am 8. September 2003