Vorwort

 

Die Leinwandbilder von Johanes Zechner halten sich in einer schwebenden Position zwischen Malerei und Zeichnung ebenso wie zwischen bildender und sprachlicher Kunst. Darin besteht keine Unentschiedenheit. Denn einerseits werden diese vier Parameter, ihre Spannung, ihre jeweiligen Möglichkeiten, wechselseitigen Konflikte und inneren Forderungen auf jedem Blatt ohne Effekte, aber umso hartnäckiger und deshalb mit einer besonderen Dichte ausgetragen. Und zum Anderen dient dieses Schweben zwischen Malerei und Zeichnung, bildender und sprachlicher Kunst dem Ausdruck einer dramatischen, teils tragischen Auffassung des Lebens, die sich für den Künstler nur in dieser unspektakulären Strategie, durch die Einfachheit dieser Ausdrucksmittel und ihrer wechselseitigen Brüche, in ehrlicher Weise sichtbar machen lässt.

 

Die Bilder über – oder besser mit – den Dichtungen von Inger Christensen sind alle auf weissem Grund gehalten und bestehen aus Zeichnungen, die mit dem Malerpinsel auf monochromen Leinwänden aufgetragen wurden, und einem Dialog mit poetischen Fragmenten, die mit den gleichen Mitteln entweder während oder nach dem malerischen Vorgang in die bildnerische Tatsache integriert wur den. Die Verbindungen und Verhältnisse zwischen beiden Elementen, dem Zeichnerischen und dem Sprachlichen, sind dabei sehr vielfältig. Oft wird das sprachliche Element auch auditiv, weil das jeweilige Blatt den Betrachter geradezu auffordert, den Text (zumindest im Geiste) laut zu sprechen. Der Maler reagiert auf die Dichtungen in höchst unterschiedlicher Weise, und dieses breite Register in der Verbindung von Malerei und Sprache stellt auch eine der wesentlichen Qualitäten dieser Arbeit von Johanes Zechner dar. Bisweilen tritt die Dichtung als geradezu erleichternder, augenzwinkender Kommentar zur malerischen Zeichnung in Erscheinung. Bisweilen spielt die Dichtung die Rolle eines dramatischen Moments, der die Bedeutungsvielfalt des Zeichnerischen in Hinsicht auf eine spezifische Auffassung vom Leben zuspitzt. Bisweilen bringt die Dichtung zum Ausdruck, wie sehr es dem bildenden Künstler in diesem Fall ein inneres Bedürfnis ist, mit den Dichtern, die so anders denken und vorgehen als er, in einen engen Dialog durch ihre Sprache und deren verdichtete Aussagen zu treten. Bisweilen gleicht die Auseinandersetzung von Johanes Zechner mit den Dichtungen von Inger Christensen geradezu einer obsessiven Identifikation des Malers mit einer bestimmten Dichterin, die für den Zeitraum von knapp zwei Jahren geradezu zu seinem alter ego in der Atelierarbeit wird. Bisweilen aber dient die Sprache auch ganz bewusst dazu, expliziten A usdruck in eine bildnerische Tatsache zu bringen, die auch als blosse formale Auseinandersetzung mit der Fläche interpretiert werden könnte.

 

Zwei dieser formalen Aspekte führen noch tiefer in diese sehr spezifische, unverwechselbare ästhetische Welt. Zum Einen trifft man in den Leinwandbildern zu und mit den Dichtungen von Inger Christensen sehr viele gebrochene Linien an. Sie sind es geradezu, die hier den bildnerischen Raum aufspannen, wobei es zur Qualität dieser Arbeiten zählt, diesen Umgang mit immer neuen gebrochenen Linien fern jedes Klischees und jedes expressionistischen Effekts durchzuführen. Zum anderen aber gilt auch für diese Arbeiten, und zwar sowohl für die bildnerischen Figuren als auch für die sprachlichen Elemente, dass sie die eigentümliche Auffassung des Zeichens fortsetzen, die das Werk von Johanes Zechner immer schon ausgezeichnet hat. Die Zeichen sind bewusst so sanft, beiläufig und scheinbar absichtslos auf den Bildträger gesetzt, wie man beim Schreiben die Schrift auf einem Blatt Papier aufträgt. Das Pathos der Malerei und der Zeichnung hat Johanes Zechner auch in diesen Arbeiten auf ein Mindestmass reduziert, was eine weitere besondere Qualität dieser Serie ausmacht. So schwebend, absichtslos und gar nicht dem Bildträger „eingeschrieben“ diese Zeichen auch auftreten, so spannen sie doch einen präzisen, über das Bildformat hinausreichenden und häufig ereignishaften malerischen Raum von grosser Präsenz auf.

 

Dieses Malen mit Zeichen, die so „unmalerisch“ auftreten wie Schriftzeichen, hat ebenso wie das Schweben zwischen Malerei und Zeichnung, bildender und sprachlicher Kunst einen inhaltlichen Bezug. Es handelt sich um lauter Formulierungen von Nichtsprachen, von bloss potentiellen, scheinbar nicht ganz bestehenden Sprach- und Ausdruckssystemen. Darin kommt - unspektakulär, aber umso differenzierter - eine eigentümliche, wohl auch tragische Auffassung des Lebens zum Ausdruck. Aber zudem auch eine besondere Erfahrung von Sprachlichkeit und Ausdrucksfähigkeit, die durchaus mit dem Umstand zu tun hat, dass Johanes Zechner einer Kultur - der slowenischen in Kärnten - entstammt, der seit seiner Jugend gewissermassen die Sprache und das generelle Ausdrucksgefüge genommen wurde. Die sehr eigenwillige und höchst differenzierte Strategie des Schwebenden zwischen den in einer Art Vorstadium gehaltenen Ausdrucksmitteln hat mit dieser Problematik, die stellvertretend für die Problematik aller eigenständigen Sprachspiele in der globalisierten Welt steht, durchaus viel zu tun.

 

Beim Betrachten dieser Zeichnungen, die man nicht durchblättern, sondern nur wie Gemälde rezipieren kann, fällt auf, dass Johanes Zechner hier offensichtlich über den Dialog mit der Dichterin Inger Christensen hinaus vielen Schriftstellern und Dichtern der Gegenwart auf den Zahn gefühlt hat. Dies ist vielleicht der wichtigste Aspekt dieser Arbeiten. Gerade durch die Kombination der in sich konfliktgeladenen Zeichnungen mit den sprachlichen Fragmenten, die auch wie Gedankensplitter eines arbeitenden Dichters gelesen werden können, scheint man einigen Schriftstellern und Dichtern der Gegenwart beim Arbeiten über die Schulter zu schauen. Ihr Denken spielt sich ja auch häufig in visuellen Konstellationen ab. Vor allem aber spürt man das Seismographische, das Dichtung und Zeichnung gleichermassen haben können - wenn sie mit der Ehrlichkeit der formalen Mittel und der Verletzlichkeit des Kreativen in der Welt der Gegenwart umgehen, statt ihnen auszuweichen.

 

 

Aus: Robert Fleck, „Vorwort.“, in Johanes Zechner, Diese weiße Ekstase, Folio Verlag, Wien - Bozen 2008