Der Fahnenmacher

 

Wir besuchten den Häuptling der Asafo-Company Nr. 2 in Cape Coast. Wir gingen über ausgetretene Lehmwege zwischen den Gebäuden. Kinder spielten am Weg, sie hatten sich aus Karton eine kleine Welt gefaltet, in der eine Lego-Figur agierte. Überall wurden kleine Fische geräuchert. Es war sehr heiß. Manchmal sahen wir zwischen den Häusern das blauweiße Meer, die Brandungswellen. Seit wir den klimatisierten Wagen verlassen hatten, schwitzten wir heftig. Die Männer hatten uns erwartet. Es wurden mehrere Stoffbündel herbeigeholt – die Fahnen der Company. Es wurde höflich gesprochen. Die freie Schulter des Häuptlings glänzte. Die Männer waren sehr schwarz, sie waren einig. Die gezeigten Fahnen waren schön, wir fotografierten mit mehreren Apparaten. Wir fragten nach den Inhalten. Uns wurde klar, daß dieses Gut nicht teilbar war, trotzdem fragten wir nach dem Wert. Die Vorführung war zu Ende, wir gingen wieder an den Feuerstellen vorüber, an der schönen sehr dicken Frau des Häuptlings, die kleine Fische räucherte. Wir hatten den Namen des Fahnenmachers aus dem Nachbardorf erfahren. Ein Junge namens Daniel stieg zu uns in den Landrover, er zeigte uns den Weg. Wir fuhren sehr langsam, damit der Wagen nicht umkippte.

Es war eine Nachmittagssonne, die den Platz des Dorfes beschien. Gleich war ein Übersetzer bei uns, wir betraten die Hütte. Der Fahnenmacher saß an seiner Singer-Nähmaschine, er hielt Stoffstücke beiläufig tastend in seinen Händen. Er war ein Greis mit zartem Knochenbau und geschmeidiger Haut. Seine Augäpfel zuckten in den Höhlen. Sein Sohn war nervös um ihn besorgt. Wir berichteten von dem großen Interesse für die Asafo-Fahnen im fernen Norden. Der Fahnenmacher nahm Schablonen von Männchen-Figuren und spiralförmigen Schlangen vom Nagel. Er legte die Schablonen jeweils einmal seitenrichtig, dann seitenverkehrt auf den gelben Stoff und schnitt die Figuren mit der Schere aus. Er heftete die Figuren in die zuvor ausgeschnittenen, passenden Löcher im roten Grund der Fahne. Er nähte die Schlangenspiralen an. Dann nähte er die ghanesische Flagge mit dem schwarzen Stern in die obere Ecke links. Er nähte abwechselnd händisch und maschinell. Der Fahnenmacher war sehr ernst bei seiner Tätigkeit, er lächelte nicht. Zuletzt nähte er die dekorativen Bordüren. Die Fahne zeigte zwei Männer in kurzen Hosen. Der eine hielt eine eingerollte Schlange über seinem Kopf, eine zweite in der weit von sich gestreckten anderen Hand. In der großen roten Fläche postiert, stand ihm gegenüber der zweite Mann. Dieser streckte seine leere Hand dem anderen entgegen. Der eine Mann war weiß, der andere schwarz. Wir betrachteten das Werk des Fahnenmachers und besprachen mit ihm die Geschichte. Es gab kein Geheimnis, aber wir konnten seinen Worten nicht folgen.  Irgendwie einigten wir uns darauf, daß der Mann mit den zwei Schlangen* sich zu viel zumutete. Ich dachte an das Bild mit der zweiköpfigen Schlange, die anstatt des Schwanzendes einen zweiten Kopf trägt. Nach und nach waren viele Menschen in die Hütte gedrängt, und andere starrten durch die Fenster ins Innere. Wir waren sehr weiße Männer. Uns ging etwas ab, was wir bei diesem alten Mann zu finden hofften. Er zeigte uns selbstgenähte Fahnen aus fünf Jahrzehnten. Die jüngsten Fahnen waren bunter, sein Alterswerk. Jeder von uns wollte eine Fahne mitnehmen, kaufen. Der Fahnenmacher war emotionslos, er nannte seinen Preis. Als der Preis genannt wurde ging ein Raunen durch die Zuschauer. Mehrere Bündel Geldes wurden gezählt und nochmals gezählt. Wir gossen die Hälfte des Palmschnapses zu unseren Füßen aus, den Rest tranken wir. Die Götter waren Zeugen, angesprochen und besänftigt.

Wir besuchten den Asafo-Schrein im Dorf. Dunkle Wesen aus Beton geformt waren auf den Balustraden postiert. Ein alter Asafo-Krieger erzählte von einem Kampf in den fünfziger Jahren. Die Nachbar-Company war mit Gewehren und Speeren in die Flucht geschlagen worden. Er konnte sich an keinen für uns schlüssigen Grund für den Konflikt erinnern. Er redete laut und erregt. Er sprach über die Mannhaftigkeit der Teilnehmer. Inzwischen waren viele Bewohner des kleinen Dorfes auf den Platz gekommen. Sie unterhielten sich, sie lachten. Die Frühabendsonne machte lange Schlagschatten, als wir in den Wagen stiegen. Daniel fuhr ein Stück Weges mit.

 

Aus Johanes Zechner, „Der Fahnenmacher.“, in Johanes Zechner, Der Afrikanische Koffer, Cantz Verlag, Ostfildern 1996

 

*Anmerkung: Die Schlange ist bei den Fante Ghanas ein Glücks- und Lebenssymbol.

Siehe auch: Kay Heymer, „Asafo-Fahnen aus Ghana“, Prestel Verlag, München 1995, S. 28 ff