Nähe und Ferne
Zu Johanes Zechners Kofferarbeiten
"Keine Wege, aber Wandernde."
Graffito, das Luigi Nono in Havanna aufgelesen hat
Johanes Zechner ist Maler. Freilich hat auch er plastisch gearbeitet, Videos gedreht und graphisches Design entworfen. Dennoch ist Zechner kein Polyartist, der gestern in den sozialen Raum intervenierte, heute Informationsdesign entwickelt und morgen womöglich mit einer Computerinstallation überraschen wird. Zechner entspricht keineswegs diesem neoliberalen Anforderungsprofil, das seit dem Globalisierungsschub in den neunziger Jahren an einen Künstler gestellt wird. Stattdessen konzentriert er sich auf ein relativ enges Spektrum an Ausdrucksweisen: Seine Domäne ist Malerei.
Zechners methodische Paradigmen standen bereits früh fest. Daraus ergibt sich eine Kontinuität, die durch Abweichungen und Brüche eher bestätigt als hinterfragt wird. Von Anfang an zielte Zechner auf Sichtbarkeit und Evidenzen ab. Dazu musste er die Malerei weder neu erfinden noch neu definieren. Die Dekonstruktion der klassischen Bildbegriffe (Fenster versus Flatness) liegt ihm so fern wie der Versuch, das Betriebssystem Kunst zu unterlaufen. Seine Aufmerksamkeit richtet sich gleichberechtigt sowohl auf malerische Fragestellungen wie auf die in seinen Bildern verhandelten Mythologeme. Sie werden auf ihre Bildtauglichkeit geprüft. Zechner versucht sich irgendwo zwischen der affirmativen Moderne und der transzendierenden Moderne zu positionieren. Mitläufertum und Esoteriker-Dasein lehnt er ab. Mit einer gewissen Beharrlichkeit verfolgt er den Weg des Weder-noch. Umgekehrt bedeutet dies, dass er unflexibel an der wechselnden Nachfrage vorbeiarbeitet. In gewisser Weise hält er unnachgiebig an alten Bildmustern fest. Wenn man künstlerische Praxis als einen Anpassungsprozess versteht, dann ist diese jedenfalls nicht seine Sache. Zechners Œuvre zeichnet sich vielmehr durch Konstanz aus: Konstanz in der Produktion, Konstanz in der Themenwahl und Konstanz in der Technik. Der in diesem Buch erstmals zusammenhängend präsentierte Werkblock der Kofferarbeiten, der über einen Zeitraum von zwanzig Jahren entstand, ist der Beweis dafür.
Unterwegs
Nach der deutschen Wiedervereinigung hatten Nomadologie, Migrationstheorien und interkulturelle Analysen Hochkonjunktur.[1] Für ei nen Augenblick schien die Geschichte die "Freiheit der Migranten" (Vilém Flusser) zu bestätigen. Durch die soziopolitische Dynamik wurden von einem Tag auf den anderen aus Außenseitern Insider. Dieser Prozess ist mit der Erweiterung der Europäischen Union auf fünfundzwanzig Mitgliedsstaaten längst nicht abgeschlossen. Parallel zu den gesellschaftlichen Umbrüchen trieben die technologischen Entwicklungen das nomadische Prinzip auf die Spitze. Durch die Flexibilisierung des Arbeitsplatzes (Laptop) und die Verselbstständigung der Kommunikation (Handy) bildete sich der Typus des Arbeitsnomaden heraus. Er ist weltweit einsatzfähig, an ihn lassen sich rund um die Uhr Aufgaben delegieren.
Zechners Kofferarbeiten werden von dem Nomadologiediskurs chronologisch begleitet, ohne von ihm kausal begründet zu werden. Zechner bedient mit seinen Kofferarbeiten eher einen Topos, nämlich den vom Künstler-Wanderer, der sein Atelier im herkömmlichen Sinne aufgegeben hat und ständig umherzieht, eben die Legende vom Künstler als Nomade. Doch ist Zechners Biographie weit beständiger als das Projekt "Kofferarbeit" zunächst vermuten lässt. Trotz seiner Reisetätigkeit unterhält der Maler ein Atelier an einem festen Ort in Kärnten. Zechner liefert mit dem Reisen keinen Gegenentwurf zur bürgerlichen Existenz, indem er sich außerhalb der Gesellschaft bewegt, sondern adaptiert ihre strukturellen Handlungsmuster als professionellen Habitus. Zum einen verleiht er dem Reisen als Freizeitverhalten einen Sonderstatus: exzentrische Mobilität war kein hinreichendes Motiv. Zum anderen übernimmt er die postfordistische Mobilisierung der Arbeitskraft als künstlerische Praxis: Bewegung an sich bedeutet noch nicht Fortschritt. Über eine äußere Handlung wird hier die ästhetische Aktivierung erprobt: das Reisen im Erkundungsmodus. Zum Bildermachen genügt Einbildungskraft nicht. "Bilder" müssen zuerst gesehen werden, damit daraus ein visuell-konnotativer Code entstehen kann. Zu diesem Zweck muss Zechner die Welt erfahren; also fährt er durch die Lande. Nach eigenen Worten führt ihn dabei ein durchaus romantisch verstandenes Fernweh immer wieder "hinter den Horizont".[2] Virtual realities lässt er links liegen. Zechner interessieren die Lebensbedingungen unter anderen Voraussetzungen. Zusammenhänge erschließen sich auf dem Weg der Reflexion. Es gelingt ihm, aus einem stereotypen Lebensstil bzw. aus nachindustriellen Arbeitskonditionen eine künstlerische Meta-Position zu entwickeln.
Wie ein Forscher geht Zechner auf Entdeckungsreise. Seine Expeditionen werden langfristig vorbereitet, nicht selten bedürfen sie des Sponsorings. So wurde die Reise nach Ghana 1995 von einem deutschen Schokoladenhersteller finanziert, der sich für die Kakaobohnenproduktion in Westafrika interessierte. In Begleitung seines Mäzens und des Ausstellungsmachers Johannes Gachnang trat Zechner die Fernreise an. – Der zweimonatige Aufenthalt in Israel wurde als konzeptuelle Reise geplant. Sie diente der biographischen Aufarbeitung einer letztlich kollektiven "Erbsünde": des Holocausts. Die jüdischen Heldendenkmäler allerorts hinterließen einen starken Eindruck. Zechner hat in Israel viel fotografiert. – Es gibt aber auch Kurzreisen als strategisches Verfahren: Berlin, Ruhrgebiet, Kroatien. Von der professionellen Reisetätigkeit ist etwa das Reisen als Privatvergnügen abzuheben wie die Durchwanderung von Feuerland 2001. Statt Bilder zu malen, formulierte Zechner die performative Seite seiner Abenteuerreise in eine Kurzgeschichte um, die er an Freunde, Kollegen und Sammler verschickte.
Zechner fährt nie ins Blaue. Seine Route folgt nicht den Spuren globaler Migration. Zechner steckt sich andere Ziele. In Ghana war es ein erblindeter Fahnenmacher der Asafo-Company, den er aufsuchte und sich eine traditionelle Flagge nähen ließ. Daraufhin setzte er mit einer Serie von rund vierzig Fahnenbildern (1996-97) postkoloniale Zeichen. Globalisierung ist eben nicht nur ein wirtschaftlicher, sondern auch ein kultureller Prozess, auf den diese Bilder reagieren. In Texas spürte er dem Leben des 1977 verstorbenen Künstlerkollegen und geschlechtlichen Körperexperimentators Forrest Bess nach, zu dem Zechner eine Art Geistesverwandtschaft verspürt. Heraus kam eine neunzehnteilige Bilder-Hommage, die in einem schwarzen Reisekoffer mit dem Aufkleber "fragile" untergebracht ist.
Die größte Herausforderung beim Malen unterwegs stellt für Zechner das "Enteignen" dar, wie er sagt: gemeint ist, sich das Fremde in Bildern anzuverwandeln – ad hoc und in ungewohnter Umgebung. Der unzweifelhafte Reiz dieses Unterfangens liegt in dem risikobehafteten Moment, einen Tageseindruck auf den Punkt zu bringen. Für Korrekturen fehlt die Zeit.
Zechner, ein Antiaufklärer?
Zechner gehört nicht zu jenen Künstlertheoretikern, die kanonische Literatur im Schlagabtausch mit anderen Kollegen auf ihre Konsistenz hin testen. Er liest keine Kunstzeitschriften, jedenfalls nicht regelmäßig und schon gar nicht aus Überzeugung. Seine Skepsis gegenüber der immanenten Macht der trendbestimmenden Printmedien ist groß. Zechner setzt auf Unabhängigkeit. Folglich geht er auf Distanz zur "Denkfabrik" Kunstzeitschrift – mit dem Risiko, dabei ins Diskurs-Out zu geraten. Zechner kommt ohne Begriffsdesign aus. Oberflächlich betrachtet, werfen seine Bilder keine provokanten Fragen auf, auch deuten sie keine Lösungen für die drängenden Probleme unserer Zeit an. Schon eher sind Zechners Bilder Bekenntnisse. Die Anregungen für seine Arbeiten kommen aus dem abstrakten Formenschatz der Moderne, aus der Literatur und aus der politischen Ikonographie.
Im Malen versucht Zechner eine wertsetzende Haltung zu praktizieren, die aus dem Prinzip eines "wilden Denkens" (Claude Lévi-Strauss) herrührt. Als Weltsicht verzichtet das wilde Denken auf die Durch-und-durch-Rationalisierung aller Phänomene; es verfährt gewissermaßen antigenealogisch. Als Erkenntnisform ist es heterogen, kombinatorisch und komplex. Das wilde Denken ist eine intellektuelle Bricolage mit beschränkten Mitteln. Abstrakte und konkrete Vorstellungen tauchen als Wiederholung oder Muster immer wieder in neuen Zusammenhängen auf. Durch ihre intertextuelle Präsenz wollen sie umfassend sein. Diesen Sollanspruch erhebt Zechners Werk im Allgemeinen wie seine Kofferarbeiten im Besonderen.
Ungeachtet dieses normativen Anspruchs liegt Zechner die Durchsetzung von Paradigmen – aktiv oder reaktiv – fern. In seine Bilder fließen eher soziokulturelle Befindlichkeiten ein, ohne dass darauf insistiert wird. Persönliche Statements schimmern sozusagen durch die changierende Farbmatrix. Ihr kritisches Potential wird nie offensiv ausgereizt. Dennoch kommt es in den Werktiteln zum Ausdruck, die teilweise aktuelle Pressemeldungen aufgreifen: "Jerusalem – Pools of Blood" (Israel-Koffer, 1994), "Rest-Yu" (Kroation-Koffer, 1994) oder "Trauma und Traum" (Berlin-Koffer, 2002-03). Programmatische Imperative weicht Zechner durch die Literarisierung der Formulierungen auf. Seine visuellen Denkmuster gehören der postpolitischen Ära an. Behutsam erschließen sie poetischen Raum. Damit hat Zechner seine künstlerische Nische nicht so sehr gefunden als vielmehr erst für sich geschaffen.
Zechners Bilder sind Produkte eines Objektdiskurses, der analog zur boomenden Weltwirtschaft in den achtziger Jahren seinen durchschlagenden Erfolg feierte. In dieser Zeit ist Zechner künstlerisch groß geworden. Als erklärter Einzelgänger blieb er ein Maler gegen den Strom. Zechner war nie hinreichend exzessiv, um zu den "Jungen Wilden" gezählt zu werden und den wechselnden Theoriekonjunkturen der neunziger Jahre wollte er bewusst nicht zuarbeiten.[3] So gesehen gehört Zechner einer konservativen Tradition an, in der die materiellen Artefakte an die ökonomische Wertewelt gebunden sind. Seine Gemälde sind Ausdruck künstlerischer Schöpfungsbegabung, die ihre Aura ausstrahlen. Die hohe Güteklasse der Malerei ist keine Behauptung, es ist eine Tatsache. Glänzend erfüllt Zechner den Anspruch handwerklicher Solidität. Nach alten Verfahren stellt er seine Eitemperafarben selbst her. Zechner deswegen auf einen reinen Formdiskurs reduzieren zu wollen, hieße aber an seinem Oeuvre blindlings vorbeizureden. Es reicht eben nicht, die Malerei auf Malerei zu reduzieren, nach dem Motto: damit sei schon alles gesagt. Auf diese Weise verfalle man nur in einen neuen Irrtum und begründe anstelle von Kunst eine neue Ontologie, wie Hans Belting mit Blick auf Sigmar Polke konstatierte.[4] Auf Zechners Arbeiten bezogen, stellt sich die Frage, durch welche situativen Kontexte und inhärenten Bezüge der scheinbare Formalismus aufgehoben wird.
Zunächst ist festzuhalten, dass die Konzentration auf die Malerei nicht einfach einen atavistischen Rückfall in ein traditionelles Medium bedeutet, während sich Generationen von Künstlern längst die neuen Medien zu nutzen gemacht hat. Die Auseinandersetzung mit Farbe und Fläche ist nicht einfach als rücksichtslose Abkehr von der gesellschaftlichen Realität zu werten. Vielmehr geben sich die Kofferarbeiten als Keimzelle eines künstlerischen Verfahrens, eines künstlerischen Konzeptes zu erkennen, das in die Tiefe geschichtlicher Bildräume und mythischer Denkwelten vorzustoßen versucht. Sie beanspruchen eine eigene Erkenntnisfähigkeit, die jenseits ökonomischer, soziologischer oder politischer Maxime liegt. Kunst ist ein kompliziertes soziales Produkt, gerade weil sie am Mehrwertmythos partizipiert.
Neue Medien
In der global werdenden Medienrealität der letzten zehn, fünfzehn Jahre hat die Malerei keinen leichten Stand. Als Medium künstlerischer Subjektivität scheint sie zu tendenziös zu sein. Im Zentrum der Informationsgesellschaft stehen technische Bilder. Die digitalen Möglichkeiten der Bildgenerierung stuften Gemälde zu Bildern zweiter Ordnung herunter. Die "indexikalischen" Medien (Foto, Film, TV) und deren Bewusstsein und Gesellschaft strukturierende Wirkung rückten an erste Stelle. Die Lust an den neuen Medien hat den "Hunger nach Bildern" (Wolfgang Max Faust) verdrängt. Penetrant beherrschen die technischen Bilder den öffentlichen Raum, dominieren die Privatsphäre. In dieser aggressiven Medienkonkurrenz muss sich die Malerei erst wieder auf ihre Stärken besinnen.
Im Wettstreit mit den virtuellen Bildern geht es um Differenzqualitäten. Dazu gehört fraglos die Materialität und Visualität der Malerei. Als lang erprobte Kulturtechnik besitzt sie einen Erfahrungsvorsprung, von dem sie momentan zehrt ohne daraus symbolisches Kapital zu schlagen. In ihr hat sich praktisches Wissen sedimentiert, das zunächst gegen technische Innovationen gefeit zu sein scheint. Die Malerei läuft dem modernen Lebenstrend entgegen. Nicht nur indem sie für einen Augenblick die Flut des medialen Bilderstroms zu stoppen vermag. Das Gemälde steht in Opposition zu den massenweise hergestellten industriellen Bildern, die in einem hohen Grade arbeitsteilig sind. In diesem Widerstand schwingt eine gewisse Nachdenklichkeit über Medien und Reproduktionstechniken mit. Gemälde gehören zu den letzten manuell gefertigten Slowtechgegenständen in unserer rasanten Hightechkultur. Gerade weil sie, technisch gesehen, verhältnismäßig einfach sind, können sie beim technologischen Verdrängungswettbewerb – Fotographie versus Film, Film versus Video, Video versus DVD – mithalten. Im Grunde sind sie immer schon dort, wo die neuen Medien hin wollen: bei einer nicht-referentiellen Bildlichkeit. Die reine Malerei wird durch reine Oberflächen digitaler Bilder ersetzt. Zur "peripheren Leere" (Jean Baudrillard) unserer telematischen Realität, die einem Ende der Ereignisse in Soap-Operas, Talk-Shows und im Big Brother-Voyeurismus geschuldet ist, mag das gemalte Bild eine Alternative sein. Als reflexives Gleichnis für existentielle Grundfragen bietet es den Bildern der Zerstreuung und Unterhaltung, den trivialen, "schamlosen" und kommerziellen Bildern die Stirn. Inhaltlich kann die Malerei jede Herausforderung annehmen. Dafür gibt es eine lange Beweiskette.
Die Künstler der Moderne haben sich über neue Materialien und neue Medien immer stärker der referentiellen Bildlichkeit entzogen. Der Homo faber wurde durch den Bildingenieur ersetzt. Ausstellungen wie Les Immatériaux oder Iconoclash arbeiteten dieser These zu. Die starke Tendenz zur Entsinnlichung eröffnete zweifellos neue Perspektiven. Die grundlegende Frage aber bleibt, wie denkt sich die Malerei als Medium neu?
Koffer, Kits und Kartons
Marcel Duchamp speicherte seine Ideen und Ausführungen über die Jahre in Schachteln ab: in der Schachtel von 1914, der Grünen Schachtel von 1934, der Boîte-en-valise von 1941-68 und in der Weißen Schachtel von 1966.[5] Er miniaturisierte sein Gesamtwerk, das nun handlich in einem Koffer transportabel und damit leicht verfügbar wurde. Die verschiedenen Archive sind als ironische Replik auf das Museum zu verstehen. Außerhalb dieser Institution genügte Duchamp eine kleine Version der Werke, um den internationalen Diskurs über seine Arbeiten anzuregen. Der Faktor Größe war für die Ready-madeisierung von Duchamps Kunst unerheblich. Schließlich ging es um die konzeptuelle Seite von Bedeutungen, die einem Gegenstand zuwachsen können, sobald dieser in einen neuen Kontext gestellt wird.
Neben Duchamps Objektdadaismus waren es vor allem Joseph Cornells surrealistische Schatullen mit den objets trouvés, die Modelle für die so genannten Fluxkits abgaben. Dieses von George Maciunas ab 1962 betriebene Editionsprojekt erlaubt einen Einblick in die vielfältige Fluxus-Produktion. Auf Bestellung bot Maciunas die breite Palette von Fluxerzeugnissen an, die seriös im schwarzen Attaché-Köfferchen präsentiert wurde. Die lose Gruppe der Anti-Künster sollte mittels Koffer als Kollektiv in Erscheinung treten. Erklärtes Ziel war es, am Kunstmarkt vorbei ein Vertriebssystem aufzubauen, das sich unter Ausschluss von kommerziellen Galerien direkt an den Käufer wendete. Ob dieser nun ein Fluxkit erwarb oder eines der geradezu inflationär hergestellten Fluxus-Schachteln, der partizipatorische Aspekt stand dabei stets im Vordergrund. Ohne Handlungsanweisungen sollte der spielerische Umgang mit den fabrizierten Objekten oder den Fundgegenständen in den transparenten Plastikschachteln, in den Holzkisten oder den Streichholzschachteln immer wieder aufs Neue erprobt werden.[6]
Was Maciunas dann mit den Fluxus Yearboxes konzipierte, nämlich eine Anthologie in Schachtelformat für experimentelle Werke und Kompositionen, die wie der Film sich nicht über das Buch vermitteln ließen, das waren für Andy Warhol die Time Capsules. Mitte der fünfziger Jahre hat Warhol sporadisch, ab 1974 systematisch damit begonnen Monat für Monat, Jahr für Jahr alles, was sich der unmittelbaren Verwendung entzog, in billigen Pappkartons abzulegen. Diese Kartons wurden zugeklebt, signiert und verstaut. Auf diese Weise entstanden 621 Zeitkapseln, deren Verwertbarkeit strategisch geschickt der Nachwelt überantwortet wurde. Als Marketingexperte in eigener Sache glückte Warhol ein postumer Überraschungseffekt, der größer nicht hätte sein können. Generationen von Kunstwissenschaftlern werden sich nun mit diesen ephemeren Dingen befassen müssen, um die Biographie dieses Starmaniaks aber auch die Geschichte der Pop-, Konsum- und Wegwerfkultur neu zu schreiben. Die kuratorische Herausforderung, nämlich wie dieses Sammelsurium aus Perücken und Schokoladeresten, Visitenkarten und Kinobillets, Nippes und Geschenken, Zeitungsausschnitten und Briefen, vor allem aber die Unmenge an Fotos zu präsentieren ist, wurde bereits angenommen.[7] Die Fetischisierung dieses "Abfalls" im musealen Kontext verhält sich reziprok zur Banalisierung von Warhols serienmäßig hergestellten Kunstprodukten, die er selbst gern als "junk" bezeichnete.
Der erste Auftritt der Nouveaux Réalistes in Deutschland wurde als Kofferausstellung inszeniert. Die Idee ging auf Daniel Spoerri zurück, der mit seiner Edition MAT (Multiplication d'Art Transformable) bereits Erfahrungen im Vertrieb von Multiples gesammelt hatte, die er in einem einzigen Koffer unterzubringen versuchte. Für die Ausstellung nahm Spoerri einen alten Reisekoffer, der zunächst als Tisch gedient hatte. Ihn bestückte er mit Arbeiten von Arman, César, Deschamp, Dufrêne, Hains, Raysse, Niki de St. Phalle, Tinguely und De la Viglleglé. Die Präsentation dieses "Gesamtkunstwerks", die am 10. Juni 1961 im Rahmen einer Privatausstellung in der Wohnung des Kölner Architekten Peter Neuffert stattfand, geriet dabei selbst zu einer neunzigminütigen Performance. Die verschiedenen Objekte des Koffers wurde einzeln verkauft, bis sie der Sammler Otto Hahn durch langwierige Kauf- und Tauschaktionen wieder vereinen konnte.[8] Museumsreife erlangte Der Koffer nicht zuletzt durch den Deckel, den Spoerri in ein Fallenbild verwandelt hatte, indem er nach den topographischen Gesetzen des Zufalls Kochgeräte, Werkzeug und andere Gegenstände darauf fixierte. Mit dem Ankauf des Koffers 1997 durch das Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig in Wien wurde die Kunstwerkqualität besiegelt.[9]
Diese vier Arten von Behältern, stehen für vier Werkkonzepte: das intellektuelle Minimuseum (Duchamp), die aleatorische Werkzeugkiste (Maciunas), die Deponie für Zeitgeschichte (Warhol) und der repräsentative Warenkorb (Spoerri). So unterschiedlich die Ansätze auch sein mögen, die Anliegen gleichen sich auffällig. Mit den Koffern, Kits und Kartons wurde die Selbstvermarktung mit experimentellen Mitteln erprobt. Zechner, der mit seinen Kofferarbeiten den Typus des Kunst-Containers prägt, ist von ökonomischen Interessen nicht freizusprechen. Doch tritt er nicht als Handelsvertreter mit einem Musterkoffer unter dem Arm auf. Der Koffer ist vielmehr fixer Bestandteil seiner installativen Präsentation der Bilder auf einfachen Pressspanpodesten am Boden, als dekorative "Auslegware" auf dem Bett oder als Hängevorrichtung an der Wand. Auch wenn das Format der Bilder auf die Maße des Koffers zugeschnitten ist, der Koffer steht nie im Mittelpunkt. Für die Bilder ist er dennoch unerlässlich, weil er für sie einen Bedeutungszusammenhang herstellt.
Kunst im Koffer
Begonnen hat Zechner zunächst mit kleinen bedruckten Schachteln. Ihn interessierte die Syntax der Konsumverpackung. Der Werbeästhetik versuchte Zechner eine neue Sprachlichkeit abzutrotzen. Dazu entfaltete er dreidimensionale Pappbehälter. Der flächige Zuschnitt wurde übermalt, mit Fotos überklebt oder mit Farbe überschrieben. Das Prinzip der Entfaltung von Volumina lässt sich im Grunde auf alle Behälter anwenden. Mit Zechners Bemalung von zerlegten Särgen, deren Holzteile flach zusammengebaut wurden, gewinnt es eine neue Dimension. Strukturell nehmen die segmentierten und separat bemalten Flächen, die erst in der Montage ein größeres Ganzes ergeben, die aus kleinteiligen Einzelwerken zusammengesetzten Kompositbilder der Kofferarbeiten vorweg.
Der Koffer ist ein finsterer Speicherraum. Von außen ist ihm nicht anzusehen, womit er gefüllt ist: mit Konzepten, mit Objekten oder mit Leere? Vielleicht liegt sogar Sprengstoff für Konflikte darin. Die Psychologie des Verborgenen hat in ihm eine adäquate Metapher. Als ein Gegenstand, der sich öffnen lässt, ist er nach der phänomenologischen Definition von Gaston Bachelard das "erste Differential der Ent-Deckung".[10] Vom Brustbeutel bis zum Überseekoffer, vom Flaschenbehälter bis zur Schultasche verwendet Zechner verschiedenste Gepäckstücke für seine Bilder. Es können Fundstücke sein wie der grüne Kassettenkoffer mit arabischen Goldbuchstaben außen und Koran-Tonbändern im Inneren, den Zechner von der Brick Lane in London-Brixton, unweit einer Moschee, aufgelesen hat. Zechner kann mit einem leeren Handkoffer und präparierten Leinwänden in die USA aufbrechen oder mit den Inhalten von weggeworfenen Gürteltaschen weiterarbeiten. In Ghana sammelte er alte Blechdosen und ließ sich daraus eine Metallbox anfertigen. In Berlin suchte er einen alten Koffermacher auf und gab bei ihm einen roten Reisekoffer aus Vulkanfiber in Auftrag, den er mit hundert Bildern bestückte. Der Texas-Koffer 2 (1998) ist für drei Leinwände maßgeschneidert worden, die Zechner aus dem Nachlass von Forrest Bess in Form eines Abschiedsgeschenks "geerbt" hat. Der Kuhfell-Bezug verweist augenfällig auf die agrarischen Strukturen des amerikanischen Cowboy-Bundesstaates. Mit der Bedrohung menschlicher Existenz schrumpft das Reisegepäck auf einen schlichten Brustbeutel zusammen. Die in London entdeckten Emigration Bags (1993) rühren an existentielle Fragen. Eine Armeeplane in Tarnfarben wurde als Kroation-"Koffer" (1994) adaptiert. – Ob groß oder klein, der Koffer als schützende Hülle für die fragilen Bilder ist immer auch als eine Metapher für das "Gefäß" Mensch und dessen sensibles Innenleben zu lesen. Ob widerstandsfähig oder verschleißanfällig, die Reisetasche ist in ihrer multiplen Funktion eigenartig selbstgenügsam. Ob neu oder mit Abnutzungsspuren, um jeden Behälter ranken sich Geschichten. Sie sind anekdotisch und womöglich liegt gerade darin ihre Exemplarität.
Zur Bestimmung der einzelnen Kofferarbeiten verwendet Zechner quasiwissenschaftlich die binominale Nomenklatur: Entstehungsort und Generalthema. Der London-Koffer mit dem Titel Gepäck, The Big Issue (1993) suggeriert Erlebnisferne. Sein Inhalt ist persönlicher Problemstoff – ikonisch aufbereitet. Die Ruhrland Scene, eine 1994 in Berlin entstandene Kofferarbeit, ist weder ein Reisebericht noch erzählt sie irgendeine Geschichte. Und doch fügen sich die einzelnen Bilder, auf denen man Motive wie einen roten Handschuh, eine gelbe Eiform mit einer labyrinthischen Binnenstruktur vor einem reich gesättigten blauen Grund oder den Ausschnitt eines Porträts von Joseph Beuys erkennen kann, zu einer Komposition zusammen. Der große Berlin-Koffer (2002-03) ist in einem Atelier entstanden, das sich Zechner provisorisch für zwei Jahre im obersten Stockwerk einer leeren Polizeistation in Berlin-Mitte eingerichtet hat. Die Szene dort sei sehr unpolitisch, konstatiert er. Das bereits 2001 am Wenzelplatz in Prag erprobte aber nach wie vor ungewohnte kontinuierliche Arbeiten in einem Atelier vergleicht Zechner mit der Tätigkeit eines Beamten am Schreibtisch oder eines Wissenschaftlers im Labor. Die Beharrlichkeit, mit der sich beide, der Beamte wie der Wissenschaftler, an die Arbeit machen, löst beim Künstler bisweilen unterschwellig Angst aus, in Routine zu verfallen. Fluchtgedanken stellen sich ein. Die geographische Raumerfahrung soll helfen, die leere Fläche der Leinwand neu zu entdecken. Zechner hat sich deshalb immer wieder auf den Weg gemacht, um durch wechselnde Schauplätze kreative Unstetigkeit zu provozieren. Es geht um Neuorientierung. Am Anfang steht immer "Wo" (Köln-Koffer, 1985). Die Aufbruchsstimmung, die das Reisen suggeriert, weitet vorübergehend das Möglichkeitsfeld künstlerischer Praxis. Umgekehrt macht sie blind für die enge Themenwelt, in der sich Zechner nach wie vor bewegt. Darin liegt vielleicht die eigentliche Chance für ein beachtliches Lebenswerk, möglicherweise ist es sogar die einzige.
Zechners Koffer-Bilder sind Antikomplexe. Sie entstehen erst während des Malens, oftmals in einem Zug. Es gibt kaum Studien oder Vorzeichnungen. Dafür arbeitet Zechner bevorzugt an mehreren Gemälden gleichzeitig. Jedes Bild wirft ein Problem auf. Die nachfolgenden Lösungsmöglichkeiten führen zum Konzept der Reihe. Von der einzelnen Darstellung wechselt Zechner zur Beschreibung von Beziehungen. Daraus ergibt sich die diskursive Struktur der Serie. Im Kollektiv sind die Arbeiten stärker. Es wiegt die Summe von Bildern, nicht das Einzelwerk. Wie bei einem riesigen Streubild breitet Zechner beim Berlin-Koffer auf hundert Leinwänden, insgesamt fünfundsechzig Quadratmetern Fläche, seine Themen aus – Wiederholungen eingeschlossen. Zweifellos gibt es in dieser großen Serie Leerstellen, also Kompositionen die als Lückenbüßer herhalten müssen. Sie schärfen den Blick für das Davor und das Danach, für das Darüber und das Darunter in der All-over-Hängung. Eine netzartige Infrastruktur hält die Serie zusammen. Auf der Ebene des Faktischen mag man zwischen einem transluzidem Rot und einem Smaragdgrün unterscheiden, auf der Ebene des Symbolischen Kreise und Kreuze auseinander halten, auf der Ebene des Lokalen die Umrisse des Olympiastadiums erkennen, aber das sind noch keine Kriterien, die ein qualitatives Urteil erzeugen. Zechner versucht Korrespondenzen zwischen äußeren und inneren Bildern zu evozieren. Doppelsinnig formuliert er es im Gespräch so: "There is an image in your luggage."
Zechners Kofferarbeiten sind kein öffentlicher Verhandlungsort und doch entstehen sie im Schnittpunkt mit der Zeitgeschichte. Die Kunstreferenz bleibt der eigentliche Hemmschuh, auch wenn sie zur Politik hin durchlässig wird und zumindest ansatzweise versucht, den Gegensatz zwischen Ästhetik und Gesellschaft aufzuheben. Zechners Bilder wollen nicht zuletzt "schön" sein, und in diesem direkten Sinn sind sie es auch. In einer Moderne, die sich ausschließlich der Institutionskritik verschrieben hat, erscheinen sie als Fremdkörper. Tatsächlich haben sie damit mehr zu tun, als auf den ersten Blick erkennbar ist. Wenn man die Gitterstrukturen und die finsteren Gestalten des Berlin-Koffers zusammen sieht, dann ergibt sich die kritische Sichtweise von selbst. Die Bilder kreisen nicht um ästhetische Autonomie. Ihre Site specifity, die Rückbindung an ihren Entstehungsort, dem ehemaligen Versammlungsraum der DDR-Exekutive am Prenzlauer Berg, ist auffällig. Das Bildmuster erzeugt mit den Symbolen ein Sinnornament, das implizit kritisch ist.
Zechners Berlin-Koffer eröffnet den Einstieg in einen Kosmos aus Bildideen, die aus privaten Mythologien und gesellschaftlichen Machtdispositionen gespeist werden. Er führt heiter-poetische und düster-gefährliche Motive zusammen. Figuratives und Malerisches vermischt sich. Zechners Formmodule greifen immer wieder auf Elemente der Avantgarde zurück, die geometrische und die biomorphe Abstraktion. Mit dem Phantombild oder der phrygischen Mütze bedient er unterschiedliche Symbolfelder (Abb. 10, 88 auf S. ■, ■). Sie sind im kollektiven Bildgedächtnis so weit verankert, dass sie kaum mehr des kommentierenden Textes als Legitimationsarbeit bedürfen.
Auch wenn Zechners Bilder kein Ausdruck gesellschaftlicher Tatsachen sind, so sind sie doch Reaktion auf gesellschaftliche Fakten. Immer wieder bringen die Textbilder Missstände explizit zur Sprache. Im Irland-Koffer von 1993 erhält der lokale Konflikt zwischen Protestanten und Katholiken mit dem Hinweis "Holy War" rund um "Jerusalem" eine allgemeine Dimension. "It was hunger and thurst and the stars" ist auf einer kleinen Papierarbeit zu lesen, die zu einem grünen Emigration-Bag gehört. Der Kroation-Koffer (1994) ist sozusagen in einer Gefechtspause des Balkankriegs entstanden. Die Aufnahme von Lenin und Stalin stammt aus scheinbar besseren Zeiten. "Spremni smo osvojiti Vis" / "Wir sind bereit die Insel Vis einzunehmen": dieser Kommentar – eine serbische Provokation – ist der Tagespresse entnommen. Die Integration von Fotos bzw. Zeitungsausschnitten simuliert Realismus; Bedeutung braucht einen Kontext.
Zechners Kofferarbeiten sind kommunizierende Gefäße. Der Maler transportiert darin Zahlen, Worte und Verse und thematisiert gleichzeitig die Probleme, die sich beim Transport, der Übersetzung, von Zeichen aus einem Milieu in ein anderes ergeben. Der Text bleibt genau an der Schwelle des Übergangs zwischen Innen und Außen. Er markiert eine Grenze, erschließt aber auch einen Übergang. Man mag einwenden, das hänge damit zusammen, dass Schrift per se zweidimensional ist. Eine perspektivische Konstruktion würde aber eine Integration in dieses Außen problemlos ermöglichen. Zechner ignoriert die medialen Vorgaben und überbrückt die Schwelle zwischen Bild und Betrachter, indem er der Schrift eine piktorale Seite zugesteht.
Als Leser wandert Zechner buchstäblich in der Sprache herum. Seine erklärte "Gier nach Sprache" schlägt in den Willen zur Malerei um. Zechner malt sich an die Literatur heran und produziert dabei selbst eine Artikulation. In stiller Eloquenz eignet er sich ein Gedicht von Michael Hamburger an oder er lässt Meldungen aus der Zeitung in seine Arbeit einfließen.[11] Manchmal tauchen signifikante Begriffe auf: "Faith". Ganz selten greift Zechner auf eigene Formulierungen zurück: "leere Zeile / leerer Beutel / leere Hand" (Abb. 36 auf S.■). Mit ihrer einfachen und klaren Sprachlichkeit wie "Sale" oder "Falaffel" auf der bundesdeutschen Fahne richten sich die Bilder direkt an den Betrachter (Abb. 39, 45 auf S. ■, ■). Das Datum "1938" hat sich tief in die zum Streifenmuster mutierte österreichische Nationalflagge eingeprägt. Seine historische Symbolkraft überschattet Vornamen wie "edith", "tonj" oder "karli", alles Synonyme für die geschichtslose Existenz während des Faschismus (Abb. 66, 67, 68, 80 auf S. ■,■,■,■). Zechner versucht Bedeutungen zu setzen, die sich nicht immer verbal vermitteln lassen. Dazu verwendet er neben Begriffen, Vornahmen und Jahreszahlen auch den binären Code oder Telefonnummern. Ebenso wie die einzelnen Worte und Zahlen zum Lesen auffordern, verwandeln sich die gemalten Gegenstände in Bildzeichen, die man nicht mit den Dingen des täglichen Lebens verwechseln sollte.
Mit der Literarisierung und Digitalisierung des Malerischen versucht Zechner für sich eine neue Dimension zu erschließen. Ob er Wahrnehmungskonventionen von Schrift, Zahlen oder Symbolen auf die Probe stellt, individuelle Mytholgeme beleuchtet oder mittels Hoheitszeichen wie der Fahne einen Dialog der Kulturen anzustiften versucht, im Grunde handelt es sich dabei um Bildpraktiken, die er bereits in früheren Werkgruppen erprobt hat. Es ist als ob Zechner beim Berlin-Koffer (2002-03) seine Themen bündelt, neu durchdenkt, um sie im großen Stil wieder auszupacken.
Zechner erhebt inzwischen keinen Anspruch mehr auf Erfinderpatente. Er streitet Originalität für seine letzten Arbeiten regelrecht ab und versucht auf diese Weise die geistige Urheberschaft als Modus künstlerischer Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen. Zwischen dem Verzicht auf ständige Innovation und dem begrenzten Fassungsvermögen des Koffers besteht eine Analogie. Die Zeichen, die als Signifikate durch Zechners Gemälde flottieren, sind allgemein verständlich. Sie stammen aus der "finiten Welt" (George Kubler) eines begrenzten Formenuniversums. Die Symbole, die hier zum Einsatz kommen, nehmen Anleihe bei einer internationalen Zeichensprache. Indem Zechner sie malerisch verdichtet, versucht er das abzulegen, was er sich über die Jahre mühevoll erarbeitet hat und stets als genuiner Ausdruck der Moderne galt: die individuelle Handschrift. Zu den spezifischen Merkmalen von Zechners Malerei gehört seine "Zeichensprache", die Buchstaben und Worte, die Ziffern und schlichten Symbole, alles Markenzeichen, an denen man den Künstler erkennen konnte. Statt sich als Person in den Vordergrund zu drängen, versucht Zechner nun programmatisch hinter den Bildern zurückzutreten. In der Anonymität seiner aus dem Alltag entlehnten Semiotik taucht er unter. Konsequent ist kein Werk signiert.
Auch wenn der Versuch einer Anonymisierung der Malerei über den Individualstil hinwegtäuscht, der wie ein Palimpsest immer wieder durchschlägt, das Bemühen tangiert das Authentizitätsverständnis der Moderne. Es geht um die radikale Auflösung des Ichs als "formbildendes Prinzip".[12] Diesem Verlust eines gesicherten Ich-Bewusstseins versucht Zechner optisch Rechnung zu tragen, indem er statt die Wirklichkeit malend nachzustellen den Weg einer imaginierenden Abstraktion verfolgt. Die Geste des Malens kann man als eine Veräußerung von Innerweltlichkeit beschreiben. Zechner lässt es nicht mit dieser selbstreflexiven Definition bewenden, sondern setzt den entäußernden Gestus über das Reisen in Beziehung zu einem Außen. Ob er vom Atelier aus seine Themenwelt erschließt oder zu neuen Ufern aufbricht, das ästhetische Drehmoment seiner Kunst liegt in der Dialektik des Innen und Außen. So wie Nähe und Ferne unterschiedliche Perspektiven eröffnen, so verlangen Zechners Bilder nach einer pluralen Lektüre.
[Abbildungen]
Marcel Duchamp mit seiner Boîte-en-valise ohne Koffer, 1942
George Maciunas, Fluxkit, 1966
Andy Warhol, Time Capsule 21, späte 60er bis frühe 70er Jahre
Daniel Spoerri, Der Koffer, 1961
Johanes Zechner, [■bitte auswählen■], [■Datum■]
[1] Vgl. etwa Paolo Binachi, "Der Künstler: Narr und Nomade", in: Kunstforum International (Köln), Bd. 112, März/April 1991, S. 98-131; Nomadologie der Neunziger. Steirischer Herbst. Graz 1990 bis 1995, hrsg. v. Horst Gerhard Haberl und Peter Strasser, Ostfildern 1995.
[2] So Zechner in: Transparent-Galerie. Österreichische Künstler im Porträt, ORF, Sendung vom 28. Dezember 1998.
[3] Vgl. Tiefe Blicke. Kunst der achtziger Jahre aus der Bundesrepublik Deutschland, der DDR, Österreich und der Schweiz, hrsg. vom Verein der Freunde und Förderer des Hessischen Landesmuseums in Darmstadt, Köln 1985; Wieland Schmied, "Ein Land mit Eigenschaften. Notizen zur Malerei in Österreich 1945-1995", in: Malerei in Österreich 1945-1995. Die Sammlung Essl, hrsg. von W. Schmied, München und New York 1996, S. 27-58, hier S. 56-57.
[4] Vgl. Hans Belting, "Über Lügen und andere Wahrheiten der Malerei. Einige Gedanken für S.P.", in: Ausstellungskat. Bonn und Berlin 1997, Sigmar Polke. Die drei Lügen der Malerei (Kunst- und Ausstellungshalle der BRD und Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof), S. 129-144, hier S. 131.
[5] Vgl. Marcel Duchamp, Die Grosse Schachtel: de ou par Marcel Duchamp ou Rrose Sélavy, Inventar der Edition von Ecke Bonk, München 1989.
[6] Vgl. Ina Conzen, Art Games. Die Schachteln der Fluxus-Künstler, Stuttgart und Köln 1997.
[7] Vgl. Ausstellungskat. Frankfurt a. M. 2003, Andy Warhol's Time Capsule 21 (Museum für Moderne Kunst).
[8] Vgl. das Lemma "Koffer", in: Stichworte zu einem sentimentalen Lexikon um Daniel Spoerri und um ihn herum, zusammengestellt, beschrieben und hrsg. von André Kamber unter Mithilfe von Hans Saner, Jean-Paul Ameline u. a., Solothurn 1990, S. 58-59.
[9] Dank an Susanne Neuburger, die das Ankaufsdatum herausgesucht hat.
[10] Vgl. das Kapitel "Die Schublade, die Truhen und die Schränke", in: Gaston Bachelard, Poetik des Raums, München 1975, S. 104-118 (franz. Originalausgabe: La poétique de l'espace, Paris 1957).
[11] Vgl. den Abschnitt über das "kostbare Schweigen", in: Eva S.-Sturm, Im Engpass der Worte. Sprechen über moderne und zeitgenössische Kunst, Berlin 1996, S. 266-268.
[12] Vgl. Pawel Florenski, Namen, hrsg. von Sieglinde Mierau und Fritz Mierau. Berlin 1994, S. 64.