Wien Neu (?)

Über den Wien-Koffer von Johanes Zechner

 

„Wenn einer eine Reise tut, dann kann er nichts erzählen“ schreibt die Schriftstellerin Ilse Aichinger, die von ihrem täglichen Spaziergang von wenigen Metern entlang der immer gleichen Strecke durch die Wiener Innenstadt mehr zu berichten weiß, als die meisten Reisenden, die sprachlos bleiben auch wenn sie die halbe Welt umrunden.

 

Die Paradoxien des Reisens, die prinzipielle Stummheit der Bilder und die Suche nach einer Sprache prägen auch das Werk des Malers Johanes Zechner, das aus der Spannung zwischen äußerer Bewegung und innerer Berührung, Beobachtung und Empfindung, Wahrnehmung und Imagination, Bildern und Buchstaben seine unverkennbare, spielerische Gestalt gewinnt. Im Zentrum steht die rätselhafte  Erfahrung, dass wir Sprache nicht erwerben sondern geschenkt bekommen, wir sie bewohnen aber nicht besitzen, sie viel weniger beherrschen als sie uns und wir sie niemals loswerden – auch nicht durch die weiteste Reise.

 

London, Irland, Kroatien, Israel, Ägypten, Afrika, Texas, Italien, Hamburg, Berlin sind die bisherigen Schauplätze  für Zechners fortwährende Experimente mit den Möglichkeiten und Grenzen der Verwandlung, wie sie die Kunst, die Sprache und das Reisen exemplarisch eröffnen. Als von Anfang an literarisch inspirierter Maler hat er sich früh eine eigene Sprache erobert, deren Wortschatz und Grammatik er ständig zu erweitern sucht. Er überlässt sich der Lektüre von Orten und Texten um die Bewegungen, die sie in ihm auslösen in ein visuelle Sprache zu übersetzen, die sich entwickelt und verändert, während er sie formuliert.

 

Die Resultate sind Serien von kleinformatigen Eitempara- Bildern, die in ihrer elementaren Einfachheit die pure Präsenz der Dinge bedeuten und den Reichtum ihrer Beziehungen buchstabieren. Im Falle der Reisen werden die einzelnen Blätter in eigens dafür gefertigten Koffern verpackt die der Werkgruppe auch den jeweiligen Titel geben. Der Koffer enthält bei Johanes Zechner nicht das, was er für unterwegs braucht, sondern das, was er von unterwegs mitbringt: jene Namen, Zeichen, Zahlen, Dinge, Farben, Symbole und Gesten die für die bereisten Regionen stehen und gleichzeitig die ganze Welt wie in einer Nussschale enthalten.

 

Unter den bisher 21 Koffer-Arbeiten nimmt der aktuelle Wien-Koffer eine besondere Position ein. Er bildet den Abschluss und die Wiederaufnahme dieses Werktypus, mit dem sich Zechner mit Unterbrechungen ins/editors/tinymce/jscripts/tiny_mce/themes/advanced/langs/de.js" type="text/javascript"> mehr als 20 Jahre lang beschäftigt hat. Es handelt sich um eine Rückkehr, bei der er gleichzeitig Neuland betritt denn beim Wien–Koffer benutzt der Maler nicht nur den Pinsel, sondern zum ersten Mal auch die Fotokamera um die Stadt, die er sehr gut kennt und in der er nach langer Abwesenheit wieder lebt, zu kartographieren, indem er sie imaginiert.

 

Der „Wien-Neu (?)“ Koffer ist mit seinen fast 100 Einzelblättern der umfangreichste seiner Art. Wie bei jeder seiner Reisen verfolgt Johanes Zechner einige selbstgewählte Regeln, deren Verbindlichkeit die Voraussetzung bilden, sich in die radikale Offenheit zu begeben, die für seine Arbeit konstitutiv ist. Im Fall von Wien hat er das gesamte Stadtgebiet in 10 Bereiche geteilt und sich dann mehrmals mit der Kamera an jene Orte begeben, von denen er erwarten konnte, dass sich an dieser Stelle etwas für die Stadt Signifikantes zeigt.

 

Zechner hat das Gewöhnliche, Unscheinbare, Zufälle mit der Ausdauer und Aufmerksamkeit eines Kopfjägers verfolgt und ist gleichzeitig wie ein Verbrecher immer wieder an seine Tatorte zurückgekehrt. Die Beute sind zehn S/W kolorierte Fotos in denen die Topographie Wiens beiläufig aber bestimmt präsent ist. Ausgehend von diesen Momentaufnahmen des Urbanen beginnt Z echner das zu malen, was diese einzelnen Episoden und Fragemente zusammenhält aber unsichtbar bleibt : die Adern, den Atem, den Tonus, das Skelett der Stadt.

Von der Stadt als Maschine, als Labyrinth, als System handeln auch die Textpassagen der dänischen Dichterin Inger Christensen deren Sätze Johanes Zechner wörtlich abmalt, nicht um zu illustrieren, was sie sagen, sondern sichtbar zu machen, dass sie selbst wie Städte gebaut sind und sich umgekehrt Städte wie Sätze lesen lassen.

 

Jeweils ein Foto, eine Texttafel und die Bilder die Zechner dazu gemalt hat, ergeben die 10 Tablaux, aus denen der Wien-Koffer aufgebaut ist und die dem gesamten Stadtgebiet entsprechen. Diese Tablaux ähneln und unterscheiden sich in ihrem Farbklima, in der Dichte der gefundenen und gesetzten Zeichen, der Festigkeit oder Flüssigkeit der Formen, im Grad der Offenheit ihrer ornamentalen Ordnung geradeso wie die Stimmungen und Strukturen der Stadteile, die von Bezirk zu Bezirk mehr oder weniger spürbar wechseln.

 

„Wien –Neu ?“ liefert keines jener „neuen“ Bilder von Wien, die in Kürze alt aussehen werden weil sie ohnedies nur alte Klischees oder neueste Wunschvorstellungen darstellen. Und zwar nicht nur weil der Maler die Stadt mit ganz anderen Brennweiten belichtet sondern sich mit seiner Malerei, die so frei erscheint wie nie vorher, völlig löst vom Würgegriff des Beschreibens.

 

Die Kunst von Johanes Zechner ist ihren Wesen nach poetisch. Sie bildet die Welt nicht ab, sondern lässt in ihrer Sprache aufblitzen, was sie ausmacht. In diesem Sinne portraitiert seine jüngstes Arbeit „Wien-Neu (?)“ Wien tatsächlich als Weltstadt.

 

Christian Muhr, Nov. 2009